Theater
Pressestimmen Brutal. Hart. Großartig.Lustig ist das Zigeunerleben, varia! Mit einem bitterbösen und sarkastischen Unterton in der Stimme singt die alte Pessi, Mutter einer vielköpfigen Sintifamilie, das bekannte Volkslied, das den Zustand von vagabundierenden Zigeunern romantisch verklärt. Sie singt es in jenem Moment, als während des Zweiten Weltkrieges klar wird, dass ihre Familie akut vom Naziregime bedroht wird.Im Stück "Der Boxer" von Felix Mitterer, das im Theater in der Josefstadt seine Uraufführung erlebte, beschreibt der Autor glasklar und analytisch psychologisch durchdacht, die Lebens- und Leidensgeschichte von Johann "Rukeli" Trollmann und seiner Familie. Basierend auf Tatsachen, erlebt darin Rukeli den Aufstieg zum Deutschen Boxmeister im Halbschwergewicht, die Aberkennung seines Titels, seine und die Verfolgung seiner Familie und erleidet schließlich kurz vor Kriegsende den Tod in einem KZ. Den erfreulichen Aufstieg zum Boxkönig darf das Publikum zu Beginn nur kurz genießen. Was danach folgt, ist harter Tobak. In einem konzisen, aber enorm aussagekräftigen Bühnenbild (Florian Parbs), in welchem schwarze, an Stahlketten von der Decke hängende Sandsäcke den Raum zeitweise stark akzentuieren, spielt sich das Drama um den Überlebenskampf in einem totalitären Regime vor den Augen des Publikums ab.Die Diskrepanz zwischen dem Ort, der auf der Bühne dargestellt wird und dem plüschverbrämten Zuschauerraum könnte nicht größer sein. Da braucht es schon eine große Portion von spielerischer Überzeugungskraft und eine fesselnde Regie, um den Abstand zwischen Bühne und Parkett schmelzen zu lassen. Beides ist bei dieser Inszenierung in vollem Maß vorhanden. Die Regisseurin Stephanie Mohr begleitet das emotional so aufwühlende Geschehen mit der notwendigen Distanz, die kein einziges Mal in den Kitsch abgleitet. Zugleich modelliert sie die Figuren emotional stark aus dem sie umgebenden Wahnsinn der Rassenverfolgung. Offene, rasche Umbauten werden durch eindringliche Soundeffekte begleitet, die ausgefochtenen Boxkämpfe durch Schläge auf die Sandsäcke markiert und der körperliche Verfall des jungen Boxers und seines Bruders durch lehmverschmierte Kleider und Gesichter deutlich unterstrichen.Dabei unterstützt sie das großartige Ensemble, allen voran Gregor Bloéb in der Rolle des anfangs so lebensprallen Rukeli. Trotz eines eingeklemmten Nervs, dieses Handicap war in keiner Sekunde spürbar, tänzelte und sprang er auf der Bühne als wäre das Boxen für ihn ganz selbstverständlich. Ernst Dörr (Kickboxweltmeister 1989) zeichnet für die Boxchoreografie und das Coaching von Bloéb und seinem Kontrahenten Reinhard Wolf (Raphael von Bargen) verantwortlich. Des Weiteren als herausragend – und das ist an diesem Abend schwer objektiv zu bestimmen, da die Leistungen aller auf höchstem Niveau angesiedelt waren – ist Elfriede Schüsseleder zu nennen. Ihre Interpretation einer starken Frau und Mutter geht vor allem in jener Szene unter die Haut, in der sie Dr. Robert Ritter, Leiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle aus der Hand liest. Die sekundenlange Stille, die dabei eintritt, fesselt und vermittelt jene Faszination, die von hellsichtigen Menschen wie ihr ausgeht. Dominic Oley verkörpert den nach außen sich empathisch gebenden, im Inneren jedoch rücksichtslos grausamen, nur auf sein Fortkommen bedachten Mediziner so, dass einem Angst und Bang ob seiner emotionalen Eiseskälte werden kann.Peter Scholz gibt den mit der Familie befreundeten Polizisten Heinz Harms, der Rukeli, wo er kann, beschützt, aber andererseits immer zu wenig Rückgrat hat um sich gegen die brutale Macht seiner Vorgesetzten zur Wehr zu setzen. Mitterer arbeitet an dieser Figur glasklar jene Machtmechanismen heraus, die Menschen dazu bringen, anderen gegenüber Gewalt auszuüben. Sich selbst der nächste sein und fressen oder gefressen werden sind Parolen, denen in Momenten wie den gezeigten ,wenig entgegengesetzt werden kann. Der große Gegenspieler Rukelis, knallhart, egomanisch und skrupellos von Raphael von Bargen gespielt, macht zu Ende des Stückes seine Motivation klar, die ihn dazu antrieb, Rukeli zu verfolgen und ihn immer wieder im KZ in den Ring steigen zu lassen. Am Schluss wird aber er auch zu den Verlierern gehören.Keiner und keine in diesem Spiel ums nackte Überleben geht siegreich aus dem sadistischen Gemetzel hervor. Die letzte Szene, in der der tote Boxer von seiner ebenfalls verstorbenen Familie abgeholt wird, lässt zumindest noch den winzigen Hoffnungsschimmer an ein Jenseits zu.Hilde Dalik, Ljubiša Lupo Gruji, Matthias Franz Stein als jüngster Bruder "Stabeli", der zum Schrecken aller die Familiengeige verkaufen musste, sowie Martin Niedermair komplettieren das Ensemble, jeder für sich eine Idealbesetzung."Der Boxer" ist ein Stück, das zeigt, wozu Menschen in gewissen Situationen fähig sind. Es reißt allen kulturellen Errungenschaften die Maske vom Gesicht und – das sollte im Vordergrund diskutiert werden – es verleiht stellvertretend mit dieser Familiengeschichte allen Sinti und Roma ein Gesicht, die in der Nazidiktatur ihr Leben lassen mussten. Ein schwarzes Kapitel Menschheitsgeschichte, das bis heute noch viel zu wenig aufgearbeitet wurde.Brutal.Hart.Großartig. Das ist die Kurzdefinition dieser Inszenierung. Wer immer kann, soll sie sich nicht entgehen lassen.(European Cultural News)Gregor Bloéb in der Rolle seines Lebens.Die Josefstadt kann wieder mit einer spannenden Uraufführung punkten.Felix Mitterer hat für den ambitionierten Direktor des Hauses, Herbert Föttinger, ein neues Stück über den sinto-deutschen Boxer Johann Rukeli Trollmann geschrieben, der 1933 in Berlin als Sieger im Halbschwergewichtskampf Deutscher Meister wurde. Eine Woche später wurde ihm von den Nazis der Titel wegen "undeutschen Boxens" aberkannt, Trollmann wurde 1944 im KZ zwangssterilisiert und erschlagen.Gestählt. In Stefanie Mohrs stilisierter, hart geschnittener Inszenierung spielt Gregor Bloéb als Rukeli Trollmann die Rolle seines Lebens. Mit gestähltem Körper trainiert er schweißtreibend am Sandsack, zeigt Kunststücke mit der Springschnur. Ein Sonnyboy, dem man das Glück über den Sieg ebenso glaubt wie das Elend bei den Schaukämpfen mit den Nazi-Schlägern im KZ.Mitterers Der Boxer ist eine überfällige Würdigung der im Nationalsozialismus getöteten Roma und Sinti.(Österreich)Am Ende gab es den ganz großen Jubel, immer wieder klatschte das Publikum nach der Uraufführung von Felix Mitterers zeitgeschichtlichem Drama "Der Boxer" Darsteller, Regisseurin Stephanie Mohr und den Dichter zurück auf die Bühne und spendete laute Bravos.Die wahre Geschichte des im KZ ermordeten Sinto-Boxers Johann Trollmann (von Gregor Bloéb atemberaubend dargestellt) wird vor der Pause wie eine mittelmäßig spannende Geschichtsstunde erzählt – und berührt, erschüttert, verstört in Teil zwei zutiefst.(KURIER)Punktesieg für Mitterer-Uraufführung in der Josefstadt.Dem "Jägerstätter"-Team gelingt mit neuem Zeitgeschichtsdrama erfolgreiche Titelverteidigung - Gregor Bloeb verausgabt sich als Sinto-Boxer "Rukeli" Trollmann.Mit der Uraufführung des Dramas "Jägerstätter" gelang dem Trio aus Autor Felix Mitterer, Schauspieler Gregor Bloeb und Regisseurin Stephanie Mohr vor eineinhalb Jahren im Theater in der Josefstadt ein großer Erfolg. Mit "Der Boxer" ist ihnen eine Wiederholung gelungen, oder in Sport-Diktion: eine erfolgreiche Titelverteidigung. Die gestrige Premiere wurde jedenfalls laut bejubelt.Mit Gregor Bloeb und Raphael von Bargen hat die Josefstadt typengemäße Idealbesetzungen aufgeboten, die dank intensiven Trainings auch muskel- und boxtechnisch (Box-Coach und Boxchoreografie: Ernst Dörr) hervorragende Figur machen. Der Boxring ist im Bühnenbild von Florian Parbs um 90 Grad in die Senkrechte gekippt und an der Rückwand ständig präsent, auf der Bühne dienen eine Vielzahl von an Ketten herunterlassbare Sandsäcke nicht nur zur Stilisierung verschiedener Räume, sondern auch zur gelungenen Umsetzung der Boxkämpfe: Regisseurin Stephanie Mohr lässt die Gegner präzise choreografiert nicht aufeinander, sondern auf jeweils einen Sandsack einschlagen. Im KZ, als Wolf von seinem Häftling den ultimativen Entscheidungskampf auf Leben und Tod erzwingt, hängt nur noch ein einziger Sandsack zwischen ihnen.Bloeb und von Bargen tragen den emotionalen zweieinhalbstündigen Abend, der nach der Pause zum beklemmenden, bedrückenden Endspiel wird. Da zeigt Bloeb, dass er mehr kann, als den fröhlichen, naiven Dauerlächler und Naturburschen zu mimen. Sein aussichtsloser Kampf nimmt nicht nur den Zuschauer mit - beim langen Schlussjubel war dem Darsteller die Erschöpfung deutlich anzuzusehen: klarer Punktesieg.(APA)Das Lächeln des Gewinners.Gregor Bloéb zeichnet den jungen Boxer Rukeli mit einer seltenen Körperlichkeit: Trotz seiner muskulös-schwergewichtigen Statur tänzelt und schleicht er in geradezu choreographischen Bewegungen nicht nur während der Boxkämpfe, sondern auch in der Interaktion mit seinen Mitspielern über die Bühne, wirft die Arme in die Luft, lacht breit und frech und provoziert mit einer geradezu unverschämten, rebellischen Eleganz seine zur martialischen Steifheit erstarrten Gegenspieler. Erst im Laufe der Zeit scheint aus dem starken Mann unter der Last der psychischen und körperlichen Demütigungen die Lebenskraft zu sickern; wenn sich Bloébs Rukeli nach der Zwangssterilisation, einem geprügelten Hund gleich verzweifelnd die eigene Männlichkeit aberkennt, gehört das zu jenen seltenen Augenblicken im Theater, wo ein Schauspieler durch Stimme, Körper und Mimik dem Betrachtenden einen Schauer über den Rücken fahren lässt: Die Gewalt des Regimes zeichnet sich in den Körper ein, zersetzt nach und nach die Haltung, bis am Ende nur mehr ein erschöpftes, geschundenes Häuflein Elend übrigbleibt. Ein Elend jedoch, das sich bis zum Schluss seiner Opferrolle verweigert, selbst im Angesicht des schlussendlichen Todes seinen Peinigern noch das spitzbübische Lachen des Gewinners breit und ungebrochen entgegenschleudert.Seine Nemesis gibt Raphael von Bargen als der regimetreue Boxer Reinhard Wolf: Steif, stramm und roh verliert er den ersten Kampf gegen Rukeli und dessen als zu ausgelassen, zu tänzerisch verfemten Boxstil. Erst als Rukeli unter dem Druck der Öffentlichkeit gezwungen wird, seinen Kampfstil anzugleichen, schlägt er ihn in einer zweiten Begegnung zu Boden. Später wird er sich persönlich als Lagerkommandant für die Internierung Rukelis einsetzen, um ihn zu Boxkämpfen um Leben und Tod zu zwingen. Dass dieser Wolf nicht zur Karikatur des Bösen verkommt, liegt an dem unterschwelligen Selbsthass und dem Zweifel, die von Bargen seiner Figur in unzähligen Zwischentönen verleiht: Die Machtdemonstrationen geraten zum eigentlichen Schwächeln, die Boshaftigkeit zur lächerlichen und gleichsam schrecklichen Befriedigung tiefgekränkter männlicher Eitelkeit.Der Boxring wird zur Leichenkammer.Nicht weniger spannend Peter Scholz' Zeichnung des Regimeopportunisten Heinz Harms: Schwankend zwischen Sympathie für den verfolgten Rukeli und einer immer stärker brodelnden inneren Aggression angesichts der Zurechtweisungen seiner Vorgesetzten windet er sich wie ein Aal zwischen Gesten der Freundschaft und – vermeintlich aufgezwungenen – Akten der Gewalt: Er wird es schließlich sein, der auf Wolfs Befehl hin Rukeli mit einem Spaten, gehorsam und entsetzt zugleich, erschlägt."Der Boxer" gerät in der Inszenierung Stephanie Mohrs zum großen Schauspielertheater, verlässt sich jedoch nicht einzig auf sein starkes Ensemble, sondern schafft auch immer wieder eindrückliche Theaterbilder, die besonders durch Auslassung Schrecken verbreiten: Eine langsame, aber stetige Spirale der Gewalt und Verfolgung, die jeden Witz, jede Lebensfreude zeitlupenartig (aber konsequent) von der Bühne verdrängt – die von der Decke hängenden Boxsäcke lassen schließlich Leichensäcke oder die in einem zum Schluss eingeflochtenen Monolog erwähnten ausgehöhlten Körper der Lageropfer assoziieren. Der Boxring wird zur Leichenkammer, der Staub im Gesicht der Zwangsarbeiter zum leichenzersetzenden Kalk; dass zum Schluss dennoch einmal mehr das bereits zu Beginn des Stücks eingesetzte, flotte, spielerische, ungehemmte und aus vokalen Lauten schmissig zusammengesetzte Musikstück erklingt, ist ein starkes, weil kontroverses Statement: Am Ende siegt doch das Leben, selbst wenn die Lebenden gewaltsam zur (scheinbaren) Niederlage gezwungen wurden.(Nachtkritik)Großartig ist auch der Polizist Heinz Harms (Peter Scholz), der die Sinti-Familie schützen will, jedoch Stück für Stück zum Peiniger seiner Freunde "umgedreht" wird – durch die Macht der Verhältnisse. Rukelis Familie bezaubert mit warmem Temperament und altem Wissen, speziell Elfriede Schüsseleder als Mutter, die dem widerlichen Dr. Ritter aus der Hand liest. Florian Parbs baute ein Bühnenbild mit schwarzen Box-Säcken vor der dunklen Feuermauer. Stephanie Mohr malte souverän und bedachtsam Mitterers etwas holzschnittartige Figuren, aus denen oft ihr Erfinder und seine pädagogische Mission spricht.(Die Presse)Jubel. Starke Momente.(Kronen Zeitung)Bestens disponiert und das nicht nur körperlich, nach Diät und hartem Training, ist Gregor Bloéb. Verblüffend, wenn man historische Aufnahmen des von weiblichen Fans mit grenzenloser Begeisterung verfolgten, zierlich-schwarzlockigen Boxers sieht, scheint die äußere Ähnlichkeit, die Bloéb, so hat man den Eindruck, dazu verhilft, sich seine Bühnenfigur mit "Haut und Haar" einzuverleiben. Das offensive Spiel, das Bloéb, nicht in allen seinen Theaterarbeiten ganz passend, auszeichnet, ist in "Der Boxer" der richtige Zugang. Man glaubt seinem "Rukeli" ("Bäumchen" auf Romanes) den erfolgsverwöhnten Boxer, der sich, als ihm sein Boxstil als undeutsch angekreidet, er als "Flitzer" und "Ringclown" von der NS-Sportpresse verunglimpft wird, im Sommer 1933 weißgepudert, mit Blondhaarperücke und den von ihm geforderten "deutschen Kampfstil" imitierend, von einem Gegner absichtlich besiegen lässt.Man glaubt Bloéb auch die Emotionen, seine Verantwortung für die Familie und die Liebe zu seiner Frau (etwas blass: Hilde Dalik), die Naivität, mit der er dem "Zigeuner-Forscher" und Rassenhygieniker Dr. Ritter (geboten grausam: Dominic Oley) begegnet, sein Schicksal, das zu Zwangssterilisation, in die Wehrmacht und ins KZ führt. Und man verfolgt gebannt die immer grausamer werdenden, im KZ schließlich tödlich endenden Boxszenen.Stephanie Moor umschifft geschickt deren Darstellungs-Problematik, indem sie, unterstützt von dumpfen Tönen aus dem Off, die Gegner an getrennten, vom Schnürboden hängenden Boxsäcken gegeneinander antreten lässt. Dasselbe Prinzip der klugen Andeutung verfolgt sie auch, wenn der ehemalige Sportgegner und nunmehrige Lagerkommandant im KZ Neuengamme Reinhard Wolf (überzeugend: Raphael von Bargen) den Aufseher und früheren Freund der Familie Trollmann Heinz Harms (Peter Scholz) zu Grausamkeiten an Rukeli und seinem Bruder Stabeli zwingt. Alles spielt sich ab auf der dunklen Bühne (Florian Parbs), mit dem an der Feuermauer hochgestellten Boxring, den nachtschwarzen Boxsäcken, die sich zu einem dunklen Wald verdichten, aus denen der Sand rieselt oder die Gedanken an die Leichen hervorrufen, von denen die Kinderstimme der Ceija Stojka erzählt, aus deren Biografie Mitterer zitiert.Die Familie des im KZ nach dem einen Sieg gegen Wolf gefällten (erschlagenen) "Bäumchen", der ein starker Baum war, die Lebenden wie die Toten werden, im Schlussbild untermalt von der frohen Musik ihrer Volksgruppe, weiterleben – nun auch in der Erinnerung der Zuschauer eines ergreifenden Theaterabends.(Tiroler Tageszeitung)Am Ende verschlug einem die Inszenierung die Sprache, manche weinten, andere hatten Magenbeschwerden. Das sinnlose Ende eines Lebens – schon oft gesehen in Filmen und auf Bühnen, wenn es um Schicksale aus der NS-Zeit ging. So auch diesmal. Doch diesmal anders.Menschenschreiber Mitterer.Das lag in erster Linie daran, dass Felix Mitterer ein begnadeter Menschenschreiber ist. Das lag auch daran, dass Regisseurin Stephanie Mohr ihr Ensemble behutsam ausgesucht hat. Mit einem großartigen Gregor Bloéb, der nach "Jägerstätter" wieder zeigt, dass er weit mehr ist und kann als der geile Skilehrer-Typ. Bloéb ist Rukeli, ist jede Sekunde präsent, er tänzelt, schlägt, steckt ein, liebt, leidet, wird entmannt und im KZ zum boxenden Tier. Dort stirbt er als ein "Nichts namens 9841".Aber er ragt nicht heraus, er überhöht die Hauptrolle nicht. Er integriert sich in ein Ensemble penibel herausgearbeiteter Charaktere. Da ist eine Truppe am Werk. Eine vielmehr wahrhaftige denn spielende Masse. Das ist das Verdienst von Stephanie Mohr. Sie lässt das Stück für sich stehen, sie ist sensibel genug, das Schreckliche nicht noch schrecklicher machen zu wollen. Die Boxszenen sind glaubhaft inszeniert und werden in ihrer Wucht über Sandsäcke verstärkt. Sandsäcke sind auch der rote Faden des Bühnenbildes von Florian Parbs. Sie dienen als Boxgeräte, als Schlachtfeld, als Arbeitslager. Ansonsten ist die Bühne rustikal reduziert. Nichts fehlt.Raphael von Bargen gibt als ach so deutsch boxender Reinhard Wolf und später als Lagerkommandant eine faszinierend grausige Nazi-Seelenschau preis, die in diesem Satz gipfelt: "Es gibt nur einen Weg aus dem KZ. Siehst du den Schornstein da, Rukeli?"Peter Scholz als Polizist Heinz Harms sei auch herausgehoben. Er gibt den Mitläufer vom Typ "Ich hatte eben meine Befehle...". Mit menschlichem Seelenkern, letztlich aber ohne Mumm. Solche wie ihn gab es damals wohl viele.Am Ende hat sich Mitterer über die historische Wahrheit hinweggeschrieben. Er setzt einen versöhnlichen Akt. Für, nicht gegen das Leben. Rukeli lebt, aber er wird deswegen nicht mehr lebendig.(OÖ Nachrichten)Mit "Der Boxer" setzt sich Felix Mitterer wie etwa bei seinem erfolgreichen "Jägerstätter" erneut mit den Widerstand gegen das NS-Regime auseinander. Im neuen Stück geht es um die wahre Geschichte des deutschen Meisters im Halbschwergewicht Johann Trollmann der 1944 von den Nazis ermordet wurde.Bei der Urrauführung des neuen Stücks "Der Boxer" von Felix Mitterer ist der Publikumsandrang groß. Hauptdarsteller Gregor Bloéb hat für die Rolle 6 Monate trainiert. Er spielt den deutschen Boxmeister "Rukeli" Trollmann. 1933 wird dessen Karriere von den Nazis brutal beendet.Trollmann entstammt einer Sinti-Familie. Er wird kastriert und ins KZ interniert. Dort muss er bis zur seiner Ermordung gegen Mithäftlinge boxen. Als brutaler Lagerkommandant brilliert Raphael von Bargen.Was für ein ungewöhnlicher Theaterabend. Während der Vorstellung hatten einige Zuschauer sogar Tränen in den Augen, so betroffen macht dieses Stück. Autor Felix Mitterer hat einen starken Text geschrieben, die Inszenierung von Stephanie Mohr ist klug und intensiv und Gregor Bloéb spielt sprichwörtlich um sein Leben. Eine umjubelte Aufführung, die man nicht so schnell vergisst.(ORF ZIB)
WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER BOXER von Felix Mitterer
Uraufführung
Premiere: 29. Jänner 2015
Die Überlegung war wohl doch zu geradlinig-simpel: Die Josefstadt hat in Felix Mitterer einen allseits hoch geschätzten Hausautor, der wirkungsvolle Stücke schreiben kann. Kürzlich erst widmete er dem Schicksal von Franz Jägerstätter eine Art knorriges Tiroler Volksstück zwischen Glaube und brutalem politischen Zwang, das viel Lob erhielt (auch wenn es gar nicht so sonderlich gut war). Jägerstätter wurde von den Nazis geköpft.
Wenn man Mitterer nun das Schicksal eines verfolgten „Zigeuner“-Boxers, wie man damals sagte (Roma, Sinti, wer kann diese Begriffe auseinander halten, um niemanden falsch zu benennen oder zu beleidigen), in der Nazi-Zeit schildern ließe, Demütigung, Verfolgung, Lager, Ermordung, dann müssen sich doch – Fingerschnipsen! – sofort die erwünschten Gefühle und Reaktionen bei Publikum und Kritik einstellen: Empörung, Erschütterung, Verurteilung.
Aber ganz so einfach ist es nicht, auch wenn wir längst eine Gesellschaft der Pawlow’schen Hunde sind, wo auf Knopfdruck alles abgerufen wird – lesbisches Paar legt’s darauf an (wie später zugegeben wurde), küsst sich öffentlich und wird dafür nicht gestreichelt! Shitstorm! Massenauflauf! Kuss-Demo! Und das ist noch ein völlig gleichgültiges Beispiel. Man braucht die wunden Punkte der Gesellschaft nicht aufzählen, längst sind sie alle instrumentalisiert, und wehe, wer nicht sein „Je suis Charlie“ oder „Nieder mit dem Akademikerball“-Schärflein beiträgt. Dass alle einmal zu denken beginnen, hoppla, was geschieht da eigentlich – was lassen wir mit uns geschehen, dafür gibt es kaum Anzeichen. Wir muhen brav die öffentlich gewünschte Meinung…
Dass Felix Mitterer sich vor den Wagen der wieder einmal hoch geputschten Empörung über zehntausendfach Gewusstes, zehntausendfach Behandeltes spannen lässt, um – ja, warum eigentlich? das ist bedauerlich. Wir kennen sein echtes soziales Gefühl, das hatte er nämlich schon, als er noch ein begabter schreibender Tiroler Bua war, dessen Stücke allen „zu schrecklich“ waren: Damals meinte er wirklich, was er nun nach allen Regeln der Klischeekunst zusammenpuzzelt, um der Josefstadt wieder ein Stück zu bescheren, das selbstverständlich politisch goldrichtig ist – und doch so falsch, so peinlich, dass man den Abend kaum aushält.
Der BOXER
Fotos: Erich Reismann
Es gab ihn wirklich, Johann „Rukeli“ Trollmann, Jahrgang 1907, erschlagen, ermordet, getötet irgendwann 1944 im KZ Neuengamme. Aus einer Sinti-Familie stammend, machte er dennoch seinen Weg ins deutsche Profi-Boxen, wobei ja schon nach der Machtübernahme die Repressalien gegen „Zigeuner“ begannen – man wollte nur „zuerst die Judenfrage“ erledigen, bevor sich die Nazis, in ihrer Rassen-Gewissenhaftigkeit, überzeugen wollten, ob dieses andere verachtete Volks nicht vielleicht doch „arisch“ und darum nicht gasofenreif war… und sie musizieren ja auch so schön.
Mitterers Stück führt uns „Rukeli“ zuerst kurz vor: leichtfüßig, mit phantastischer Figur trainiert ein lockerer, fröhlicher Gregor Bloéb mit der Springschnur. Wir kapieren es schon, der ist anders als die sturen Deutschen, die gleich anfangen, Adolf Hitler zu zitieren und ihr Herrenmenschentum zu tönen. Der ist eine Provokation aus vielen Gründen.
Drei Figuren nehmen nach und nach die Sinti in die Zange – Raphael von Bargen spielt den SS-Mann und späteren Lagerkommandanten, der sich zu einem jener lustvollen Sadisten entwickelt, für die Christoph Waltz einen „Oscar“ bekommt – aber nur er und nur er verdient. Dominic Oley spielt den (historischen) Rassenfanatiker Dr. Ritter, der sich auf die Zigeuner spezialisiert hat und mit wissenschaftlicher Verbohrtheit seine Messungen und Untersuchungen am Menschen vornimmt… Und dann ist da noch Peter Scholz, als der Polizist, der zwar (wie er glaubt) Mensch bleibt, aber immer bereit ist, alle Befehle zu erfüllen, bis zuletzt. Von diesen drei Institutionen eingekreist, haben die Sinti keine Chance.
Der BOXER
Mit unendlicher Schwerfälligkeit holpert eine Szene nach der anderen über die Bühne, die natürlich wunderbare, sympathische Roma-Familie hat’s schwer (Elfriede Schüsseleder als Mutter holt sich ein paar darstellerische Höhepunkte ab, Michael König, Ljubiša Lupo Grujčić und Matthias Franz Stein sind nach dem Motto aufgestellt: ein bisserl fremd halt, aber liebe, gute Leute, gar kein Zweifel!), der Boxer boxt, gewinnt und wird um seine Siege gebracht, heiratet eine blonde deutsche Frau (Hilde Dalik), die treu zu ihm steht, ihm aber samt Kind entrissen wird. Und als er Deutschland auch nicht mehr als Wehrmachtssoldat dienen darf, kommt er ins Lager und wird Spielball seiner SS-Mann-Nemesis, der ihn um sein Leben boxen lässt…
Das ist inhaltlich nicht viel, wird bis zur Unerträglichkeit ausgewalzt, und je elender und brutaler das Geschehen wird, umso breiter und vordergründiger klebt es sich auf die Bühne. Wenn Mitterer am Ende dann noch abhebt in metaphysische Gefilde (er hat sich dazu die Erinnerungen eines Roma-Kindes hergenommen, das im Lager durch die Leichen watete), dann stellt sich die spekulativ eingeforderte tiefe Erschütterung sowieso erst recht nicht ein: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend, der auch noch die Todsünde begeht, unsäglich langweilig zu sein.
Keine leichte Aufgabe für Stephanie Mohr, diese Tragödien-Orgie halbwegs auf die Bühne zu schieben, wobei Bühnenbildner Florian Parbs vordringlich jene Ledersäcke vom Schnürboden regnen lässt, an denen sich Boxer abarbeiten. Auch die Boxkämpfe, die hier öfter einmal vorkommen, werden solcherart stilisiert gezeigt – jeder haut auf seinen Punching-Ball. Gelegentlich tragen die Darsteller Lampen herum – man braucht nicht viel in der Semi-Realität, die das Leid dann schon wieder überreal dick aufträgt.
In der Pause stürmten Scharen die Garderoben und waren nicht mehr gesehen. Die anderen zeigten, dass das Drücken des richtigen Knopfes absolut funktioniert, und jubelten.
Renate Wagner